Eisenbahn im Film  –  Rail Movies 
 

 

 

 

I girasoli

 

Art: Spielfilm
Produktion: Italien/Frankreich 1970
Regie: Vittorio De Sica
Farbe
Laufzeit: 108’
weitere Verleih-Titel: „Sunflower“ [GB], „Sonnenblumen“ [BRD]

 

Inhalt

1942 in Neapel: Während eines Fronturlaubs heiratet der 32-jährige Elektriker Antonio (Marcello Mastroianni) die junge Giovanna (Sophia Loren) und bekommt zusätzlich 12 Tage Sonderurlaub. Die beiden verbringen ihre Flitterwochen in Antonios Haus in der Po-Ebene. Während eines Luftangriffs auf eine Ponton-Brücke über den Fluss kommt Antonio auf die fatale Idee, den Verrückten zu spielen, um nicht mehr in den Kriegsdienst nach Nordafrika zurückkehren zu müssen. Doch im Sanatorium fliegt der Betrug auf und Antonio wird in die 8. Armee strafversetzt und an die Ostfront verlegt. Während der russischen Großoffensive im Zuge der Operation „Saturn" anfangs 1943 wird das Italienische Expeditionskorps am Don vernichtend geschlagen. Antonio gerät in Kriegsgefangenschaft und kommt beim langen Gewaltmarsch durch die eisigen Steppen der Ukraine beinahe ums Leben. Mehr tot als lebendig wird Antonio von der jungen Mascha (Ljudmila Saweljewa) gerettet und wieder aufgepäppelt, doch bleibt er lange Zeit ohne Erinnerung.

Nach Kriegsende gilt Antonio für die italienischen Behörden als verschollen. Zu Beginn der 1950er Jahre kommt in Mailand ein Zug mit Kriegsheimkehrern an, von denen sich einer an Antonio erinnern kann, als ihm Giovanna ein Foto zeigt. Überzeugt davon, dass ihr Mann noch am Leben ist, reist Giovanna nach Stalins Tod anno 1953 in die Sowjetunion, um nach Antonio suchen. Ihre Odyssee führt sie in Moskau durch Bahnhöfe und Metro-Stationen, vor Fabriktore, ins Olympiastadion Luschniki während eines Fußballspiels und später auf einen Soldatenfriedhof in der Ukraine mit 50 000 Gefallenen der 8. Armee. Durch einen Hinweis von Dorfbewohnern stößt sie schließlich auf Mascha, die inzwischen mit Antonio verheiratet ist und ein Kind von ihm hat. Für Giovanna bricht eine Welt zusammen, als sie erkennen muss, dass sich ihre Lebenswege endgültig getrennt haben.

 

Allgemein

Das mit großem Aufwand inszenierte, sehr ergreifende Melodram lebt ganz von der Präsenz der beiden Schauspiel-Ikonen und wird durch den oscar-nominierten Soundtrack von Henry Mancini großartig getragen. Was David Lean mit"Doktor Schiwago“ (GB/I/USA 1965) noch verwehrt blieb, gelang nur vier Jahre später dem Schweizer Mitproduzenten Arthur Cohn – nämlich die Erwirkung einer Dreherlaubnis in der Sowjetunion, worauf in Zusammenarbeit mit Mosfilm an den Originalschauplätzen in Moskau und Poltawa (Ukraine) inszeniert werden konnte, so dass die entsprechenden Sequenzen viel Lokalkolorit ausstrahlen, auch wenn der Sowjet-Alltag stellenweise geschönt wirkt. Jedenfalls gilt „I girasoli“ als erste westliche Kinoproduktion, die vor Ort im kommunistischen Russland gedreht wurde.

 

Eisenbahn

Die Handlung spielt in einem Zeitraum von etwa 20 Jahren und enthält diverse Bahn-Szenen. Die erste ist unmittelbar nach der Heirat von Giovanna und Antonio zu sehen und zeigt einen Dampfzug der Italienischen Staatsbahn (FS) auf einer eingleisigen Nebenstrecke. Die Aufnahmen, wobei auch im fahrenden Zug gedreht wurde, entstanden in der Provinz Pavia bei Garlasco auf der Querverbindung Vercelli – Mortara – Pavia. Die Garnitur ist mit einer Mogul-Schlepptenderlok der Reihe 640 (1’Ch2, Schwartzkopff/Breda/CM Saronno, 1907-1911) bespannt, wobei die hochbeinige „Signorina“, eine Innenzylinder-Maschine mit außenliegender Ventilsteuerung, wie aus dem Ei gepellt wirkt. Dahinter folgen ein schiefergrauer Gepäckwagen der Gattung DI 92.000 (zweiachsig) und kastanienbraune Mittelgangwagen der Gattung Bz 36.000 „Centoporte“.

Drei Sequenzen entstanden in Milano Centrale, wobei bemerkenswerterweise während den normalen Betriebszeiten gedreht wurde, so dass immer wieder zeitgenössisches Rollmaterial ins Bild kommt, was die Authentizität aufgrund diverser Anachronismen doch etwas schmälert. Die erste Bahnsteig-Szene entstand um 13.20 Uhr und spielt 1942 kurz vor der Abreise von Antonio mit einem Truppentransport in Richtung Ostfront. In der mit Hunderten von Komparsen gedrehten Bahnsteig-Szene ist eine (nicht näher identifizierbare) Schlepptenderlok – womöglich wieder eine der 640er aus dem Depot Novara – zu sehen, dahinter kastanienbraune „Centoporte“.

Die zweite Episode spielt um 1952 und zeigt die Ankunft eines Güterzuges mit Kriegsheimkehrern. Eine Dampflok mit vierachsigem Schlepptender ist in der Einstellung nicht näher identifizierbar. Dagegen ist während der Einfahrt linkerhand ein Wendezug aus modernen Vierachsern mit mittig abgesenktem Wagenboden vom Typ Vicinale Piano Ribassato der 2. Klasse (Serie nBz 46.100-252) sowie der 1./2. Klasse (Serie nABz 68.600-615) im schiefergrauen Farbkleid zu sehen, welche ab 1965 für den Mailänder Vorortsverkehr beschafft wurden. Etwas später in der Bahnsteig-Szene steht Sophia Loren wenig passend vor einem DB-Schnellzugwagen 2. Klasse der Gattung Büm 232 mit UIC-Anschriften.

Die Abschiedsszene am Ende des Films spielt etwa 1962 und entstand um 6.45 Uhr ebenfalls auf dem Mailander Hauptbahnhof. Antonio steht wortlos am Fenster eines schiefergrauen FS-Seitengangwagens 2. Klasse der Gattung Bz 33.010 und blickt zu Giovanna hinüber, bis sich der Zug Richtung Wien in Bewegung setzt. Danach ist im Hintergrund der Rapido 33 „Treno Azzurro“ (ab 12.55 Uhr) zu sehen, welcher noch bis Ende 1971 nach Neapel (an 21.36 Uhr) verkehrte. Erkennbar ist die Garnitur nur an der Couplage mit Speise- und Pullmanwagen (ex-CIWL WR 2749-2773, CIWL-WSPc 4148-4164). Denn anstelle der auffälligen zweiton-blauen Seitengangwagen vom Typ 1959 der 1. Klasse Az 23.600, 1./2. Klasse ABz 64.500 und 2. Klasse Bz 45.100 sind die ab 1967 verwendeten schiefergrauen FS-Schnellzugwagen vom Typ UIC-X 1964 eingereiht. Während ihrer Odyssee durch Moskau folgt Giovanna einem Fabrikarbeiter, in welchem sie einen gebürtigen Landsmann vermutet, der nach dem Krieg in Russland geblieben ist. Schließlich entert dieser einen U-Bahn-Zug in der Metrostation Worobjowy Gory an der Sokolnitscheskaja-Linie. Auch hier ein Ananchronismus: Die einzigartige U-Bahnstation wurde erst 1959 eröffnet, befindet sich auf der unteren Ebene einer zweistöckigen Straßenbrücke über die Moskwa und ist vollständig verglast. Zudem ist in der Bahnsteig-Szene die Einfahrt eines zweiton-blauen Metrozuges der Reihe E (Metrowagonmasch, geliefert ab 1963) der Linie 1 zu sehen.

Die eigentliche Schlüsselszene des Melodrams spielt sich jedoch auf einem Perron in der ukrainischen Provinz ab, als Giovanna nach langen Jahren den Trennung plötzlich wieder Antonio gegenübersteht, der mit dem Zug soeben von der Arbeit kommt. Sehr prominent in einem westlichen Kinofilm wirkt dabei der Auftritt eines Dampfzuges der Sowjetischen Staatsbahn (SZD), gebildet aus der Schlepptenderlok Su 205-07 und vierachsigen SZD-Vorkriegswagen. Die zwischen 1926 und 1951 von mehreren Werken (Kolomna, Kransnoje, Luhansk, Brjansk, Charkow) gebaute und schließlich 2280 Loks umfassende Baureihe Su (kyrillisch: Cy) trug während 40 Jahren die Hauptlast des Schnellzugverkehrs auf dem Streckennetz der UdSSR, wobei von den letzten 400 Maschinen einige Exemplare mit mechanischer Rostbeschickung (Stoker) ausgerüstet wurden. Die technischen Daten lauten:
 

Technische Daten SZD-Schlepptenderlok Su 205-07
Bauart, AchsfolgePrairie, 1’C1’
Achslast16-18 t
Anzahl Zylinder total2
Zylinder-Durchmesser x Hub440 x 650 mm
Treibrad-Durchmesser1850 mm
Verdampfungsheizfläche198 m²
Überhitzerheizfläche89 m²
Kesseldruck13 kp/cm²
Rostfläche4,72 m²
Brennstoff (Kohle)18 t
Wasser23 m³
Reibungsgewicht48-54 t
Gesamtdienstgewicht145,5 t
Gesamtlänge23738 mm

 

Die Dreharbeiten fanden im Süden Moskaus auf der kleinen Ringbahn statt, wo der Personenverkehr aber bereits 1930 eingestellt worden war. Der Perron gehört zur ehemaligen Ringbahnstation Kanattschikowo gegenüber dem gleichnamigen Kohlekraftwerk, dessen Kühltürme im Hintergrund ausgemacht werden können.

 

Autor dieser Filmbesprechung: Manuel Gurtner
Online: 18.06.2017

 

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