Eisenbahn im Film – Rail Movies |
Avalanche Express
Art: Spielfilm
Drehbuch: Abraham Polonsky
Überwachung der Spezialeffekte: John Dykstra, Bruce Logan Darsteller:
Farbe: DeLuxe
InhaltWährend des „Kalten Krieges“ Ende der 1970er Jahre: General Marenkow (Robert Shaw), der Chef des sowjetischen Geheimdienstes KGB, will sich in den Westen absetzen, nachdem er unter dem Decknamen „Angelo“ seit geraumer Zeit die gegnerischen Nachrichtendienste mit Informationen über das militärische Geheimprojekt „Wintersaat“ – den Einsatz von biologischen Kampfstoffen in Westeuropa – versorgt hat und nun aufzufliegen droht. Der prominente Überläufer soll deshalb in einer risikoreichen Aktion mit Hilfe von CIA-Veteranen um Harry Wargrave (Lee Marvin) im „Atlantik-Express“ von Mailand über die winterliche Schweiz nach Amsterdam geschleust werden und dabei als Köder für Oberst Bunin (Maximilian Schell) dienen. Bunin als skrupelloser Projektleiter von „Wintersaat“ wiederum plant derweil einen alles vernichtenden Anschlag auf den Zug, ansonsten das westeuropäische Agentennetz des KGB durch Marenkow enttarnt werden könnte. Fairerweise darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Verfilmung von Colin Forbes’ gleichnamiger Romanvorlage unter einem äußerst unglücklichen Stern stand. Einerseits war Hauptdarsteller Robert Shaw (siehe auch „The Taking of Pelham One Two Three“) schon merklich von seiner schweren Krankheit gezeichnet und starb noch vor Abschluss der Dreharbeiten, so dass sämtliche seiner Dialoge nachsynchronisiert werden mussten. Andererseits erlag Hollywood-Routinier Mark Robson (siehe auch „The Inn of the Sixth Happiness“ oder „Von Ryan’s Express“) während der Nachproduktion in London ebenfalls einem Herzanfall, weshalb notgedrungen Monte Hellman einspringen musste, der bereits für die Lawinen-Episode verantwortlich zeichnete. Aus dem bisherigen Rohmaterial und mit zusätzlich gedrehten Sequenzen gelang es der Lorimar, welche inzwischen das Zepter bei der Produktion übernommen hatte, den Film irgendwie fertigzustellen.
EisenbahnDie schließlich 12 Millionen US-Dollar teure Produktion kann trotz des beträchtlichen Aufwands und der illustren Besetzung nicht durchwegs überzeugen. Inwieweit die Zäsur, welche die Dreharbeiten durch den plötzlichen Tod von Produzent und Regisseur Robson erfuhren, dabei eine Rolle spielte, kann im nachhinein nur spekuliert werden. Deshalb möchte ich mich auf die eisenbahn-relevanten Fakten konzentrieren und dabei die offensichtlich vorhandenen Fehler und Ungereimtheiten bewusst aussparen insofern, als diese bereits anderweitig diskutiert wurden und für den Großteil der Kinogänger wahrscheinlich gar nicht derart relevant waren. Zudem dürften gerade die unzulänglichen Bahn-Szenen dafür gesorgt haben, dass dieser Spionage-Thriller mit der Zeit einen gewissen Kultstatus erreichte. Die DrehorteEin Großteil der Außenaufnahmen entstand im Herbst 1978 in Norditalien, genauer in Mailand und im Dreieck Piacenza–Modena–Mantova. Der fehlende Schnee wurde jeweils durch den großzügigen Einsatz von Foamite (Gemisch aus Löschschaum, Zucker und Seifenwasser) kompensiert, was in den Streckenaufnahmen besonders auffällt. Gedreht wurde auch an Originalschauplätzen wie dem Mailänder Hauptbahnhof oder der Scala, derweil dann die darauf folgende Verfolgungsjagd zwischen dem Fiat-Kastenwagen des italienischen SISMI und dem Mercedes-Benz des russischen KGB teilweise in der Altstadt von Parma entstand, dessen Bahnhof später als Kulisse für die Bahnsteig-Szene in Maastricht mit Horst Buchholz als Chef des holländischen BVD diente. Gemäß der Fachzeitschrift „Italmodel Ferrovie“ fungierte Cremona derweil als Schweizer Grenzbahnhof Chiasso. Die zu Beginn in den SBB-Bahnhöfen Basel und Zürich spielenden Sequenzen entstanden allesamt in München, wie aus der nachfolgenden Übersicht hervorgeht:
Außergewöhnlich ist die Sequenz, welche in den Gewölben unterhalb von Milano Centrale entstand, wo sich die Katakomben des Frachtbahnhofs befanden. Hier wurden die Güterwagen jeweils mittels Hebebühnen, die sich auf jedem sechsten der 24 Bahnsteigleise befanden, einzeln nach unten gehievt, um anschließend auf eine Schiebebühne gezogen zu werden, welche die Güterwagen auf das für sie vorgesehene Gleis bugsierte. Die Post wurde jeweils oben entladen, aber die Lagerräume, die Gepäckaufbewahrung und die Frachtabteilung befanden sich im Untergrund, weshalb am Ende jedes Gleises ein Lastenaufzug vorhanden war. Auch Wargrave benutzt einen der Warenlifte, bevor er auf dem Weg von der Schalterhalle zu den höher gelegenen Bahnsteigen niedergeschossen wird. Das RollmaterialGemäß der Handlung gelangen die brisanten Informationen von „Angelo“ jeweils monatlich durch den „Eisernen Vorhang“, indem der (fiktive) russische Schlafwagen Moskau–Basel des „Ost-West-Express“ als „toter Briefkasten“ benutzt wird. Als nach der Ankunft des Nachtzuges in Basel SBB die Putzkolonne in den Abteilen zu Gange ist, holt der als Wagenreiniger getarnte BND-Agent Neckermann (Arthur Brauss) das wasserdicht verpackte Tape aus dem Abflussrohr eines Waschbeckens. Anstelle eines spurwechselfähigen SZD-Waggons der Gattung WLABm (Typ UIC-Y, Görlitz 1969/72) entstand diese Sequenz mit Hilfe des DB-Schlafwagens der Gattung WLABü 181 mit UIC-Immatrikulation 61 80 71-41 643, ursprünglich der CIWL-Schlafwagen 3952 (Typ Y, EIC Aytré 1950), welcher nach seinem Umbau Ende der 1960er Jahre als CIWLT-Typ Ub figurierte. Danach gelangt die Kassette über die schöne CIA-Agentin Elsa Lang (Linda Evans), die kurz darauf den – gemäß der zweisprachigen Lautsprecherdurchsage – „Transalpin-Express“ bis Zürich nimmt, zu Leroy (Joe Namath), welcher den ausfahrenden Zug im letzten Augenblick entern kann und später auch in Zürich aussteigen wird, wo das Tape an einem Bahnhofskiosk unauffällig an Wargrave übergeht, der das Mini-Tonband schließlich auf dem Flughafen Kloten seinem Einsatzleiter Haller (Mike Connors) zur Auswertung übergibt. Apropos „Transalpin-Express“: Gemeint ist der damalige ÖBB-Paradezug „Transalpin“ zwischen Basel und Wien, welcher zur Zeit der Dreharbeiten anstelle des sechsteiligen ÖBB-Triebzuges der Reihe 4010 (SGP 1965) bereits mit einer ÖBB-Wagengarnitur der Bauart Eurofima (Typ UIC-Z) gefahren wurde. Bei der Ankunft im Zürcher Hauptbahnhof wird hingegen eine ziemlich bunte Komposition gezeigt, welche nebst einem grünen DB-Seitengangwagen der Gattung ABm 225 (Typ UIC-X) – mit Elsa und Leroy an Bord auch einen roten Altbauspeisewagen aufweist, womöglich der ehemalige MITROPA-Schürzenwagen 1154 der Gattung WR4ü-39 (WUMAG 1939, Umbau 1959), derweil davor ein blauer ex-CIWLT-Schlafwagen eingereiht ist, mutmaßlich wieder ein WLABü 181 der DSG-Reserve Frankfurt. An der Spitze des Zuges ist zudem erstmalig die DB-Elektrolok 110 422 vom Bw Dortmund zu sehen, deren Bundesbahn-Emblem an der Bügelfalten-Front bereits mit einem ominösen roten Logo einer fiktiven Bahngesellschaft abgedeckt ist, welches bis dato nicht zweifelsfrei entziffert werden konnte. Später ist die kobaltblaue DB-Maschine vor dem ebenfalls fiktiven „Atlantik-Express“ zu sehen, weshalb sich die Regie bemüßigt fühlte oder aber – im Zusammenhang mit der jeweiligen Drehgenehmigung sogar genötig sah, die auf den italienischen Streckenabschnitten verwendete FS-Elektrolok E 444.046 ebenfalls zu maskieren und dabei äußerlich soweit als möglich dem DB-Triebfahrzeug anzugleichen. Dazu wurde die Maschine mit zusätzlichen Schlusslichtern, durchgehendem Lüfterband und ähnlichem Farbkleid versehen, und dafür das geflügelte FS-Emblem an der Front entfernt. Nachfolgend die technischen Eckdaten im Vergleich:
Im Juni 1989 wurde die E 444.046 als erstes Exemplar der Baureihe im Ausbesserungswerk Foligno einer umfangreichen Modernisierung unterzogen, welche auch das Äußere stark veränderte, so dass daraus die Untergruppe E 444R resultierte. Die inzwischen ozeanblau-beige 110 422 erlitt hingegen einen Brandschaden wegen einer Kollision, die sich am 1. März 1994 in Sylbach auf der Strecke Herford-Himmighausen (Kursbuchstrecke 405) ereignete und die Ausmusterung am 31. August 1994 zur Folge hatte. Der „Atlantik-Express“ an der „Maas“Der in Holland an der zweigleisigen Maas-Brücke bei Rotterdam angesiedelte Terroranschlag der „Geigergruppe“ auf den Zug wurde ebenfalls in der Provinz Cremona inszeniert, wobei der Po die Rolle der Maas übernahm. Die Dreharbeiten fanden auf der notabene eingleisigen Hauptbahn Brescia–Parma statt, die bei Casalmaggiore den mit 652 Kilometer längsten Fluss Italiens überquert, welcher an dieser Stelle immerhin 250 Meter breit ist. Für die Traktion auf der nicht elektrifizierten Strecke sorgte derweil eine FS-Diesellok der Reihe D 443 (Bo’Bo’, Serie D 443.001-050, Fiat/Breda 1967-70), welche die Garnitur – außerhalb des Kamera-Blickwinkels – auf die 1082 Meter lange Fachwerkträgerbrücke (Savigliano 1882) schob. Auch in dieser Sequenz wurde wieder ein beträchtlicher Aufwand betrieben, wie anhand von zwei Aushangfotos mit Lee Marvin offenbar wird. Demnach wurde am nördlichen Brückenkopf eine temporäre FS-Oberleitung installiert, die von einem an der ersten Querverstrebung der Brücke angebrachten Ausleger über zwei eigens aufgestellte FS-Fahrleitungsmaste bis zu einem improvisierten Abspannmast im Hintergrund reichte, so dass die E 444.046 mit gehobenem Scherenstromabnehmer im Schritttempo auf die Brücke rollen konnte – heutzutage ein unvorstellbarer produktionstechnischer Aufwand. In diesen Einstellungen ist auch die Wagenreihung des „Atlantik-Express“ zu erkennen, wobei die Waggons an der Flanke ebenfalls das fiktive Emblem tragen:
Die ModellbahnFür die visuelle Umsetzung der auch heute noch spektakulär wirkenden Lawinen-Episode zeichnete die von John Dykstra gegründete Firma für Spezialeffekte namens Apogee verantwortlich. Dazu wurde eine zwar weitläufige, aber nicht sonderlich detaillierte Miniaturlandschaft gestaltet, welche die winterliche Gotthard-Südrampe im Bereich des fiktiven Wasserhorns darstellte, ohne aber das Flair einer Schweizer Alpenmagistrale überzeugend vermitteln zu können. Die Umsetzung erfolgte wahrscheinlich im Maßstab 1:45 bei einer Spurweite von 32 Millimetern (Nenngröße 0), wobei die Nenngröße I (Spurweite 45 Millimeter) nicht ganz außer acht gelassen werden darf insofern, als der für solche Miniatur-Sequenzen gebräuchliche Maßstab 1:20 beträgt. Die unter der Leitung von Chef-Modellbauer Grant McCune verwirklichte Garnitur des „Atlantik-Express“ umfasste außer dem Triebfahrzeug nur sieben Waggons, der Großteil davon Seitengangwagen vom Typ UIC-X, da der Speisewagen offenbar weggelassen wurde. Trotz gewisser Indizien konnte die These, dass als Basis auf die Spur-0-Artikel von Rivarossi (Nr. 7181, 7780, 7784) zurückgegriffen wurde, bislang nicht erhärtet werden. Das Modell der Elektrolok weist zwar Attribute der im Film verwendeten E 444.046 (Dachpartie und Lüfterband) auf, gleicht im Bereich der Frontpartie jedoch eher einer Prototyp-Re 4/4 II der SBB (Serie 11101-11106, SLM/BBC/MFO 1964), wobei der Lokkasten und der Drehzapfenabstand deutlich länger ausfielen. Bereits im Vorspann ist der durchaus akurrat wirkende Zug in mehreren Einstellungen auf der zweigleisigen Gebirgsbahn zu sehen, welche mit einer Oberleitung nach DB/ÖBB-Vorbild versehen wurde, um mit einer aus dem Führerstand gefilmten Streckenaufnahme zu korrespondieren, welche von der Brennerstrecke stammen könnte, derweil das ebenfalls im Vorspann gezeigte dreibegriffige Lichtsignal einem SBB-Hauptsignal (System L) nachempfunden ist. Was als völlig misslungen bezeichnet werden muss, ist hingegen der Brückenkollaps infolge des Lawinenniedergangs. Offensichtlich ist die nicht sonderlich filigrane Konstruktion keinem realen Vorbild nachempfunden und wirkt darum wie eine auch bezüglich Statik äußerst fragwürdige Mischung aus Fachwerkbrücke und Gerüstpfeilerviadukt. Anscheinend fällt es Hollywoods Trickspezialisten leichter, wie in „Star Wars“ (USA 1977) einen X-Wing-Jäger durch den Kanal des imperialen Todessterns zu fliegen – wofür Dykstra und McCune auch prompt mit dem Oscar ausgezeichnet wurden, als einen profanen Nachtzug über eine Gebirgslinie zu fahren.
Autor dieser Filmbesprechung: Manuel Gurtner
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