Eisenbahn im Film – Rail Movies |
Murder, She Said
Art: Spielfilm
Angaben des Vorspanns, notiert von JB nach der deutsch synchronisierten Fassung (ausgestrahlt von mdr am 15.06.1998; einzelne Ergänzungen: Manuel Gurtner):
InhaltWährend einer Bahnfahrt beobachtet Miss Jane Marple (Margaret Rutherford) den Mord an einer jungen Frau, welcher im Abteil eines parallel fahrenden Zuges verübt wird. Sie meldet den Vorfall zwar sofort dem Schaffner, doch wird in der Folge nirgends eine Leiche gefunden, weshalb die Behörden die Untersuchung des angeblichen Mordfalls rasch einstellen. Die schrullige, aber ebenso resolute alte Dame lässt jedoch nicht locker und stellt mit Hilfe des Bibliothekars Mr. Stringer (Stringer Davies) – und entgegen dem ausdrücklichen Ratschlag von Inspector Craddock (Charles Tingwell) – eigene Nachforschungen an, welche sich schon bald auf den Landsitz „Ackenthorpe Hall“ konzentrieren.
EisenbahnDas Drehbuch zur britischen MGM-Produktion „Murder, She Said“ basiert nicht direkt auf Agatha Christies Roman „4.50 from Paddington“ von 1957, sondern auf dessen Adaption durch David Osborn und konzentriert sich auf die Quintessenz der Story. In der Folge resultieren beträchtliche Abweichungen gegenüber der Originalvorlage, wovon das Skript von David Pursall und Jack Seddon aber profitieren sollte. Nachfolgend wurde der Versuch unternommen, anhand der literarischen Vorlage die eisenbahn-relevanten Gesichtspunkte von „Murder, She Said“ zu analysieren und mit dem konkreten Umfeld der British Railways im Jahre 1961 abzugleichen. Als Basis diente dabei die deutschsprachige Ausgabe (Scherz Verlag AG, Bern und München) aus dem Verlag Editions Recontre, Lausanne. Die Tatzeit – diktiert durch den FahrplanDank dem akribischen Studium von Kapitel 1 und 3 lässt sich die zeitliche Abfolge ziemlich genau herleiten, weshalb sich die Ereignisse des 20. Dezember 1957 von kurz vor der Abfahrt des Zuges bis zu dessen Ankunft in Milchester wie folgt protokollieren lassen:
Fahrplan-DiagrammeDas erste Zeit-Weg-Diagramm illustriert im Sinne eines grafischen Fahrplans allgemein die drei unverspäteten Zugläufe im Abschnitt Paddington-Milchester. Die Fahrplanlage des Expresszuges (rot dargestellt) entspricht in etwa dem des „South Wales Pullman“ nach Cardiff und Swansea im Jahre 1961.
Das nun folgende zweite Zeit-Weg-Diagramm zeigt fokussiert die Situation der drei Zugläufe im Abschnitt Barwell Heath–Brackhampton am 20. Dezember 1957. Die Fahrplanlage des Lokalzuges (blau) basiert auf der im Buch geäußerten Vermutung, dass dieser zur Tatzeit mit einigen Minuten Verspätung unterwegs ist, was schließlich das (außerfahrplanmäßige) Überholmanöver mit dem Eilzug (grün) bedingt. Zu beachten ist ferner die generelle Geschwindigkeitsreduktion vor der Einfahrt in die mehrfach erwähnte Kurve vor Brackhampton.
Der Tatort – diktiert durch die LinienführungDer nachfolgende (unmaßstäbliche) Situationsplan zeigt die Trassierung in den Außenbezirken von Brackhampton, welche auf den in Kapitel 4 des Buchs gemachten Erläuterungen beruht. Demnach handelt es sich um eine 180 Grad-Kurve zur Umgehung des Landsitzes von „Rutherford Hall“, welche allgemein als „Horseshoe Curve“ (Hufeisen-Kurve) bezeichnet wird. Das bekannteste Beispiel findet sich im US-Bundesstaat Pennsylvania unweit von Altoona auf einem Streckenabschnitt der ehemaligen Pennsylvania Rail Road durch die Allegheny Mountains. Aufgrund der Tatsache, dass die britischen Eisenbahnen von Beginn an den Linksverkehr praktizierten, muss es sich des weiteren um eine Linkskurve handeln. Damit wird einerseits die Bedingung erfüllt, dass der Eilzug (grün) auf seiner linken Flanke vom Lokalzug (blau) überholt wird, derweil andererseits der Täter anschließend – begünstigt durch das Abbremsen und die starke Neigung des Zuges – die Leiche ebenfalls zur linken Seite hin den Bahndamm hinunterbefördert, um sie anschließend im „langen Schuppen“ verschwinden zu lassen.
Die in diesem Abschnitt mindestens drei Geleise umfassende Magistrale gehörte bis 1948 zum Streckennetz der ehemaligen „Great Western“ und führt von London aus westwärts über Swindon und Newport bis nach Cardiff beziehungsweise Swansea. Die Route des Eilzuges umfasst hingegen ausschließlich fiktive Ortschaften, weshalb anhand des originalen BR-Liniennetzplans von 1961 eine (mutmaßliche) Zuordnung realer Orte vorgenommen wurde. In bezug auf Brackhampton dürfte es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um die Industriestadt Reading handeln, wo nicht nur mehrere Hauptstrecken sternförmig zusammenlaufen, sondern auch eine in Kapitel 3 erwähnte Straßenbahn existierte, deren Betrieb auf der eher seltenen Schmalspur von 1219 Millimetern jedoch bereits im Jahre 1939 eingestellt worden war. Der Film – Drehorte in der „Western Region“…In produktionstechnischer Hinsicht wurden bezüglich der eisenbahn-spezifischen Aspekte zwar gewisse Abstriche gemacht, welche aber aufgrund der durchwegs authentischen Aufnahmen und dank der stimmigen Inszenierung von George Pollock nicht sonderlich ins Gewicht fallen. So wurde denn auch der Vorspann 1) – unterlegt mit dem eingängigen Soundtrack von Ron Goodwin – tatsächlich in den Hallen der Londoner Paddington Station inszeniert, so dass unmittelbar nach dem Passieren der Bahnsteigsperre eine ex GWR-Tenderlok der Reihe 5101 (Achsfolge 2-6-2 beziehungsweise 1’C1’) zu sehen ist, welche den Zug kurz zuvor auf Gleis 3 rangiert hat. Und auch die nachfolgenden Sequenzen mit der Ausfahrt des Eilzuges stammen vom Originalschauplatz, was sowohl die Unterquerung der Ranelagh Bridge mit dem gleichnamigen Depot als auch die im Hintergrund erkennbare Westbourne-Brücke belegen.
Die eindrückliche Aufnahme des Wassernehmens in voller Fahrt wurde jedoch – wahrscheinlich durch das Second Unit Team unter Regieassistent Douglas Hickox – anstatt auf der Originalroute von London in Richtung Swindon beziehungsweise Cardiff weiter nördlich auf der ehemaligen GWR-Rennstrecke Paddington-Birmingham bei Aynho (Northamptonshire) festgehalten, über welche dazumal noch die berühmten Two-Hour-Expresszüge verkehrten. Die am Tatort spielenden Szenen mit den beiden als Streckenarbeiter getarnten Protagonisten am Bahndamm bei „Rutherford Hall“ 2) entstanden angeblich bei Denham (Buckinghamshire). Einerseits wird dies durch herrliche Aufnahmen von Schnellzügen untermauert, welche mit ex GWR-Schlepptenderloks der formidablen „King“-Klasse (Achsfolge 4-6-0 beziehungsweise 2’C) bespannt sind; Andererseits aber auch durch die Tatsache, dass die Hauptdarstellerin Margaret Rutherford (damals 69 Jahre alt) und ihr Gatte Stringer Davies (in der Rolle des Mr. Stringer) zur Zeit der Dreharbeiten nur ein paar Kilometer weiter in Gerrards Cross wohnhaft waren. Aufgrund der Topographie kann der Drehort auf den Streckenabschnitt zwischen der Station Denham und der Haltestelle Denham Golf Parc eingegrenzt werden.
… und interessante DetailsHingegen könnte die Sequenz des eigentlichen Überholmanövers womöglich aus der Midland-Region stammen, zumal die von der Londoner St. Pancras Station ausgehende Hauptstrecke auch an Borehamwood (Hertfordshire) vorbeiführt, wo sich dazumal die MGM-Filmstudios befanden. Außerdem trübt gerade diese Einstellung die ansonsten große Authentizität insofern, als es sich einerseits beim langsamer fahrenden Zug – mit Miss Marple am Bord – offensichtlich um einen Vorortszug mit Tenderlok (mutmaßlich mit Achsfolge 2-6-2 beziehungsweise 1’C1’) handelt, welcher zudem keine Seitengang-Waggons aufweist. Andererseits zieht der Schnellzug auch nicht auf dem unmittelbar benachbarten, sondern auf dem übernächsten Gleis vorbei, so dass diese Einstellung weder mit der vorangehenden noch mit den nachfolgenden Szene korrespondiert. In der mittels Rückprojektionstechnik gefilmten Sequenz mit Miss Marple im 1.-Klasse-Abteil zu Beginn des Überholmanövers lässt sich die vorbeiziehende Schlepptenderlok anhand des am Führerhaus angebrachten, aber nur teilweise sichtbaren Nummernschilds als ex GWR-Reihe 1000 der „County Class“ (Achsfolge 4-6-0 beziehungsweise 2’C) vom Typ „Ten wheeler“ identifizieren, welche ab 1945 die finale Weiterentwicklung der „Saint Class“ markierte. Die in Swindon stationierte Nº 1011 namens „County of Chester“ wurde als letzte Vertreterin dieser Baureihe im November 1964 ausgemustert und in der Folge verschrottet. Später dann in der Golfpartie-Szene unweit des Bahndamms ist bei einem der vorüberfahrenden Schnellzüge eine BR-Diesellok vom Typ D16/8 (Achsfolge Co’Co’) vorgespannt, welche ursprünglich Ende 1947 von der London Midland & Scottish kurz vor deren Verstaatlichung abgeliefert worden war. Obwohl die Testfahrten der nur zwei Exemplare (Nº 10000 und 10001) umfassenden Baureihe bis Mitte der 1950er Jahre unter anderem auch in der Western Region um Nine Elms stattfanden, kamen die imposanten Maschinen zum Zeitpunkt der Dreharbeiten hauptsächlich in der Midland Region zum Einsatz – beispielsweise in Doppeltraktion vor dem „Royal Scot“ nach Glasgow – und wurden wegen ihrer Schadensanfälligkeit im Dezember 1963 beziehungsweise im März 1966 außer Dienst gestellt, wobei beide Loks dem Schneidbrenner zum Opfer fielen.
Autor dieser Filmbesprechung: Manuel Gurtner
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