Eisenbahn im Film – Rail Movies |
Octopussy
Art: Spielfilm
InhaltDer fanatische Sowjet-General Orlov (Steven Berkoff) schmuggelt in einem Zirkuszug aus der DDR einen Atomsprengkopf durch den „Eisernen Vorhang“ – die Grenze zwischen dem kommunistischen Ostblock und den westlichen Nachbarstaaten. Die durch einen Zeitzünder gesteuerte Kernwaffe soll auf einem US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Westdeutschland detonieren, um in der Folge die einseitige Abrüstung des westlichen Verteidigungs-Bündnisses NATO zu bewirken. Agent 007 alias James Bond (Roger Moore) gelingt es jedoch, den Zug im letzten Moment zu entern, worauf ein tödlicher Wettlauf gegen die Zeit entbrennt.
EisenbahnIm Gegensatz zu den Außenaufnahmen, welche an den Original-Schauplätzen am Berliner Kurfürstendamm und am damaligen Grenzübergang „Checkpoint Charlie“ im Bezirk Kreuzberg entstanden, wurden sämtliche der in Ost- und West-Deutschland spielenden Eisenbahn-Szenen auf der britischen Museumsbahn Nene Valley Railway (NVR) realisiert, welche in der Grafschaft Cambridgeshire zwischen Wansford und Peterborough verkehrt. Was aus produktionstechnischen Gründen durchaus sinnvoll erscheint, erweist sich in bezug auf die Authentizität der entsprechenden Sequenzen als offensichtlicher Nachteil. Ganz im Gegensatz zu den in Indien gedrehten Episoden vermag weder das plakativ wirkende DDR-Szenario zu überzeugen, noch das unpassende Rollmaterial in Verbindung mit den typisch britischen Bahnanlagen ein glaubwürdiges Reichsbahn-Flair zu vermitteln. Amüsant ist hingegen die im breitesten Sächsisch vorgetragene Lautsprecherdurchsage, welche – zumindest in der deutschen Synchronfassung – während der Bahnsteigszene zu hören ist. Der ZirkuszugDas Inventar der NVR weist traditionell einen hohen Anteil an kontinental-europäischem Rollmaterial auf, unter anderem auch die ehemalige DB-Tenderlok 64 305 (1’C1’h2t, Krupp 1934). Leider war der sogenannte „Bubikopf“ dazumal nicht im betriebsfähigem Zustand (und ist es bis heute nicht), weshalb man auf die dänische Tendermaschine S 740 (1’C2’h3t, Frichs 1928) auswich, die für die Zeit der Dreharbeiten als DR-Lok 62 015 maskiert wurde. Die originale Reichsbahn-Maschine (2’C2’h2t, Henschel 1928) fungierte seit 1975 als Traditionslok und ist im Bw Dresden-Altstadt abgestellt. Für die weitere Zusammensetzung des Zirkuszuges wurden dann ein ehemaliger CIWL-Schlafwagen, ein ex CIWL-Speisewagen, ein ex NSB-Plattformwagen sowie vier zweiachsige Güterwagen verwendet. Letztere vom Typ CCT (Covered Carriage Truck) waren ursprünglich anno 1938 von Metropolitan-Cammell in Birmingham an die London, Midland & Scottish (LMS) geliefert und zu Beginn der 1950er Jahre nochmals für British Railways nachbestellt worden. Für die Dreharbeiten wurden die auch im Original roten Güterwaggons an den Seitenwänden zusätzlich mit dem Dekor des (fiktiven) Zirkus „Octopussy“ ausstaffiert. Die Wagenreihung präsentiert sich demnach wie folgt:
Von Ost nach WestGemäß der Filmhandlung startet der Zirkuszug im ostdeutschen Karl-Marx-Stadt (ab 1990 wieder Chemnitz), um mutmaßlich über die Sachsen–Franken-Magistrale (via Zwickau, Plauen und Hof) nach dem westdeutschen „Feldstadt“ zu gelangen. Als Drehort für die fiktive Ortschaft diente das Gelände des Stützpunktes der britischen Royal Air Force von Upper Heyford in der Grafschaft Oxfordshire. Als Kulisse für die Bahnhofszenerie in „Karl-Marx-Stadt“ fungierte der ehemalige Bahnknoten Wansford Station, welcher zwar mit dem Chemnitzer Hauptbahnhof kaum etwas gemein hat, hingegen umso mehr Parallelen mit dem damaligen Grenzbahnhof Gutenfürst aufweist, beispielsweise eine Fußgängerbrücke. Die an der innerdeutschen Grenze spielenden Szenen entstanden jedoch im Bereich der Haltestelle Ferry Meadows, wobei es sich um die Ende 1964 geschlossene Station von Orton Waterville handelt. Unweit der westlichen Ausfahrt von Wansford Station verläuft auf einer Länge von 564 Metern ein zweigleisiger Tunnel, welcher im Verlauf der Handlung mehrmals zu sehen ist. Zuerst wird darin mit Hilfe der gelben Zweikuppler-Diesellok Nº 8368 „Horsa“ (Robert Stephenson & Hawthorns, Baujahr 1962, Leistung 262 PS) ein heimliches Rangiermanöver durchgeführt und dabei der Nuklearsprengkopf an Bord eines Güterwaggons gebracht, welcher daraufhin an den Zirkuszug gekuppelt wird. Für die Dauer der Dreharbeiten wurde der Stollen offensichtlich mit einer Beleuchtung versehen. Später liefert sich 007 zuerst mit Gobinda (Kabir Bedi), dem finsteren Leibwächter von Oberschurke Kamal Khan (Louis Jourdan), und dann mit dem mörderischen Messerkünstler-Zwilling Grischka (Tony Meyer) auf den Wagendächern des unaufhaltsam in Richtung Westen dampfenden Zuges einen Zweikampf, welcher auch während der in Rauchschwaden gehüllten Tunnelpassage andauert. „Fliegendes“ SchienenautoDie spektakuläre Verfolgungsjagd von Bond am Steuer eines schwarzen Mercedes-Benz 250 SE beginnt oberhalb des westlichen Tunnelportals, als 007 nach einer Schießerei mit der Eskorte von General Orlov kurzerhand dessen Dienstwagen kapert, um den soeben ausfahrenden Zirkuszug doch noch zu erwischen. Verfolgt von Orlov in einem GAZ-21 „Wolga“, führt die rasante Fahrt auch am Bahnbetriebswerk der NVR vorbei, weshalb linkerhand die ehemalige DB-Tenderlok 80 014 (Ch2t, Wolf 1927) sowie die schwedische Tendermaschine 1928 der Klasse S-1 (1’C2’h2t, NOHAB 1952; hier beschriftet als fiktive DR-Lok 74 750) ausgemacht werden können, welche zur Zeit der Dreharbeiten (1982) ebenfalls der Wiederaufarbeitung harrten. An der östlichen Bahnhofsausfahrt, wo sich auch das Stellwerksgebäude aus dem Jahr 1907 befindet, quert die alte Great North Road die Geleise auf einem beschrankten Bahnübergang, welcher für die Dauer der Dreharbeiten ebenfalls auf ostdeutsche Verhältnisse getrimmt wurde. Und eben hier vollführt Bond, nachdem die Reifen des Mercedes wegen einer NVA-Straßensperre durch ein Nagelband zerfetzt wurden, ein gekonntes Schleudermanöver, so dass die jetzt nackten Felgen der Nobelkarosse just auf den Schienen zu stehen kommen und 007 – nun funkenstiebend auf dem Gleis weiterfahrend – dem Zug nachjagen kann, derweil Orlov zumindest vorerst das Nachsehen hat. Dieses für die Filmreihe typische Szenario wird immerhin durch den Umstand etwas glaubwürdiger, dass sowohl die vordere (1448 mm) als auch die hintere Spurbreite (1440 mm) des SE nur unwesentlich von der europäischen Normalspur (1435 mm) abweicht. Die dann folgende Parallelfahrt des „Schienenautos“ zum Zirkuszug auf der größtenteils eingleisigen Strecke wurde im Bereich der NVR-Station Orton Mere gedreht, weshalb im Hintergrund die Überführung des Nene Parkway zu erkennen ist, sowie im etwa 250 Meter langen Abschnitt zwischen Wansford Station und dem Ostportal des Wansford-Tunnels. An der Spitze des unvermittelt auftauchenden Gegenzuges ist die schwedische Schlepptenderlok 101 der SJ-Klasse B (2’Ch2, NOHAB 1944) zu erkennen. Die eigentliche Frontalkollision wurde jedoch im Bereich der zweigleisigen Brücke über den Nene gedreht, welche unmittelbar an den bereits erwähnten Bahnübergang anschließt. Dabei wird der Mercedes durch die Frontalkollision derart wegkatapultiert, dass das Auto schließlich im Fluss landet. Ein auf der Brücke postierter Hilfszug, bespannt mit der SJ-Tenderlok 1178 der Klasse S (1’C1’h2t, Baujahr 1914), holt den Benz schließlich mit einem Kranwagen aus dem Wasser. Die nicht maßstäbliche Skizze zeigt die Position der erwähnten Drehorte entlang der NVR-Strecke, wobei sich die Nummerierung auf die Abfolge der einzelnen Sequenzen bezieht:
Die Lok Litra S 740 der DSBDie Dreizylinder-Maschine mit Heusinger-Steuerung wurde 1928 von der Maschinenfabrik A. S. Frichs in Århus – die einzige Lokomotivschmiede Dänemarks – unter der Fabriknummer 28 gebaut und als letztes Exemplar der Baureihe S (Nº 721 bis 740) von den Dänischen Staatsbahnen (DSB) in Betrieb genommen. Das Einsatzgebiet befand sich ausschließlich in der Region Seeland, im schweren Vorortsverkehr entlang der Küste von Kopenhagen nach Helsingør. Die wuchtig wirkende Tenderlok erreichte jeweils in Vor- oder Rückwärtsfahrt eine Höchstgeschwindigkeit von 90 Stundenkilometern. Wegen der fortschreitenden Verdieselung während der 1960er-Jahre beendete die Litra S 740 dann 1970 ihren regulären Dienst bei der DSB. Nach einem Intermezzo bei einer Privatbahn gelangte die Lok 1976 zum Dänischen Eisenbahnmuseum in Odense, worauf dann drei Jahre später der Verkauf nach England erfolgte. In Wansford wurde die imposante Tendermaschine wieder betriebsfähig aufgearbeitet und ab 1980 regelmäßig auf den Gleisen der NVR eingesetzt. Wegen der anstehenden Kesselrevision für längere Zeit in einem Unterstand abgestellt, kehrte die S 740 in der Folge 1995 in ihre dänische Heimat zurück, wo die erneute Wiederaufarbeitung unter der Ägide des Nostalgiebahnvereins Nordsjællands Veterantog (NSJV) demnächst abgeschlossen werden soll.
Literatur-Hinweis: eisenbahn magazin (Düsseldorf), Heft 3/1983, Seite 24. Autor dieser Filmbesprechung: Manuel Gurtner
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