Französischer Filmstar auf zehn Rädern
Dampflokomotive 230 G 353 der SNCF
Gemeint ist die Schlepptenderlok 230 G 353 vom Typ „Ten wheeler“ (Achsfolge
2’C), welche anno 1923 in den Pariser Batignolles-Werken gebaut und
anschließend an die Compagnie du Chemin de fer de Paris à Orléans (PO)
geliefert worden war, wo die als Mehrzwecklok konzipierte Maschine als Nº 4353
hauptsächlich vor Eil- und Lokalzügen, aber auch im leichten
Güterzugsdienst eingesetzt wurde.
Ihre jetzige Betriebsnummer erhielt die
formschöne Zweizylindermaschine im Jahre 1938 mit der Übernahme durch die
neu gegründete Société Nationale des Chemins de fer Français (SNCF). Der
Einsatz konzentrierte sich in der Folge auf Zentralfrankreich, wo die Lok
(gekuppelt mit dem dreiachsigen Tender 17 D 116) in den Depots von Brive,
Limoges, Saint Sulpice Laurière, Tours St Pierre und Vierzon beheimatet war.
Abschließend in Montluçon stationiert, wurde die letzte reguläre Leistung
am 2. April 1970 erbracht.
Mit dem Status als einzige noch betriebsfähige Dampflok der SNCF erfolgte
1975 die Stationierung im Pariser Depot La Villette beziehungsweise später
dann in Noisy-le-Sec. Die elegante Maschine wurde in den folgenden Jahren
diversen Sonderzügen und angeblich einmal sogar einem Unkrautvertilgungszug
vorgespannt und weiterhin für Dreharbeiten zu hochkarätigen Kinoproduktionen
angemietet (siehe die nachfolgende Filmographie). Zwischenzeitlich bei der Museumsbahn
„Trains à Vapeur de Tourraine“ (TVT) beheimatet erhielt die Lok 1985 eine
letzte Hauptuntersuchung durch die private Chemins de Fer et Transport
Automobile (CFTA) in Gray.
Nach einem Intermezzo bei der bretonischen
Touristikbahn „Vapeur du Trieux“ musste die 2’C-Maschine wegen eines
inzwischen schadhaften Kessels abgestellt werden. Die notwendigen Arbeiten
wurden zwar nach dem Jahr 2000 in der CFTA-Werkstätte in Angriff genommen,
nach der Demontage der Lok aber aus finanziellen Gründen ausgesetzt. Im
November 2004 überführte man die ehemalige PO-Dampflok schließlich in die
SNCF-Werkstätte von Épernay, wo sie (Anfang 2008) noch immer ihrer Wiederaufarbeitung
harrt.
Filmographie in chronologischer Reihenfolge
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Original-Titel: Vipère au poing
Produktion: Frankreich 1971
Regie: Pierre Cardinal
Farbe: Color
Laufzeit: 85'
Kurzbemerkung: Die TV-Version der autobiographischen Romanvorlage von Hervé
Bazin.
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Original-Titel: Le Train
Deutscher Verleihtitel: Le Train – Nur ein Hauch von Glück
Produktion: Frankreich/Italien 1973
Regie: Pierre Granier-Deferre
Farbe: Eastmancolor
Laufzeit: 101'
Kurzbemerkung: Dieses hochkarätig besetzte Kriegsdrama beginnt 1940 in
Nordfrankreich nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Belgien und
spielt größtenteils in einem Flüchtlingstransport nach La Rochelle an der
Atlantikküste.
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Original-Titel: Murder on the Orient Express
Deutscher Verleihtitel: Mord im Orient-Express
Produktion: Großbritanien 1974
Regie: Sidney Lumet
Farbe: DeLuxe
Laufzeit: 131'
Kurzbemerkung: mehr über diesen Film
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Original-Titel: Monsieur Klein
Deutscher Verleihtitel: Mr. Klein
Produktion: Frankreich/Italien 1976
Regie: Joseph Losey
Farbe: Eastmancolor
Laufzeit: 123'
Kurzbemerkung: In dieser meisterhaften Parabel gerät der (notabene
katholische) Pariser Kunsthändler Robert Klein anno 1942 aufgrund eines
gleichnamigen Unbekannten in eine kafkaeske Maschinerie, an deren Ende der
KZ-Transport nach Auschwitz wartet.
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Original-Titel: Fedora
Produktion: BR Deutschland/Frankreich 1977
Regie: Billy Wilder
Farbe: Eastmancolor
Laufzeit: 116'
Kurzbemerkung: Ein abgehalfteter US-Filmproduzent reist nach Korfu, um den
legendenumwobenen Filmstar Fedora zu einem Comeback zu bewegen. Im Intro zu
diesem meisterhaften Psychodrama stürzt sich eine junge Frau auf einem
französischen Provinzbahnhof geradewegs vor einen durchbrausenden Nachtzug.
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Original-Titel: Le Gang
Deutscher Verleihtitel: Die Gang
Produktion: Frankreich/Italien 1977
Regie: Jacques Deray
Farbe: Eastmancolor
Laufzeit: 103'
Kurzbemerkung: Spielt anno 1945 unmittelbar nach Kriegsende. Als Drehort diente unter anderem die Pariser Gare de l'Est.
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Original-Titel: Violette Nozière
Produktion: Frankreich/Kanada 1978
Regie: Claude Chabrol
Farbe: Eastmancolor
Laufzeit: 123'
Kurzbemerkung: Lokführer Nozière wird von dessen Tochter Violette vergiftet. Als Vorlage diente ein Kriminalfall von 1934. Die 230 G 353 ist als Lokzug mehrmals in einer Rückblende zu sehen.
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Original-Titel: Camille Claudel
Produktion: Frankreich 1988
Regie: Bruno Nuytten
Farbe: Fujicolor
Laufzeit: 170'
Kurzbemerkung: Die Bahnsteigsszenen in dieser aufwenig inszenierten
Künstler-Biographie entstanden im September 1987 in der Güterhalle von Paris
Pajol. Nebst der 230 G 353 ist eine Garnitur hölzerner Ostbahn-Abteilwagen
aus der Zeit der Jahrhundertwende zu sehen. Für die Dauer der Dreharbeiten
wurde die SNCF-Maschine wieder in den Ursprungszustand als Nº 4353 der
Paris-Orléans (PO) versetzt und dabei ihrer Windleitbleche beraubt.
Autor dieses Beitrags: Manuel Gurtner
Online: 01.11.2009
html-Status: 10.08.2014
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