Eisenbahn im Film – Rail Movies |
The Cassandra Crossing
Art: Spielfilm
InhaltDrei Mitglieder einer Gruppe militanter schwedischer Friedensaktivisten werden beim Versuch, auf das geheime Versuchslabor einer (fiktiven) paramilitärischen Unterorganisation der WHO 1) in Genf einen Bombenanschlag zu verüben, vom Wachpersonal ertappt. Beim anschließenden Schusswechsel stirbt einer der Terroristen, derweil die zwei anderen unwissentlich mit dem hochansteckenden Lungenpest-Erreger infiziert werden. Einer der beiden (Lou Castel) kann schließlich vom Gelände weg zum nahegelegenen Bahnhof fliehen und als blinder Passagier den kurz darauf ausfahrenden Expresszug nach Stockholm entern.
Das derart freigesetzte Virus sorgt jedoch dafür, dass eine gnadenlose Militärmaschinerie – verkörpert durch US-Colonel Mackenzie (Burt Lancaster), welcher zudem von der Bakteriologin Dr. Stradner (Ingrid Thulin) assistiert wird – anläuft, deren einziges Ziel die restlose Vernichtung des vollbesetzten Expresszuges ist, um eine weitere Ausbreitung der Seuche zu verhindern und dadurch die geheime Entwicklung eines bakteriologischen Waffenarsenals durch das Pentagon 2) zu vertuschen.
Die Seuche – LungenpestVon allen Formen der Pesterkrankungen entwickelt die Lungenpest sich am schnellsten und ist deshalb als gefährlichste Form zu betrachten. Erfolgt die Ansteckung über Tröpfcheninfektion direkt von einem anderen Patienten mit Lungenpest, so entsteht die primäre Lungenpest (ohne vorausgehende Beulenpest). Zu Beginn der Erkrankung kommt es zu Fieber in Kombination mit Kopf- und Muskelschmerzen. Im weiteren Verlauf entwickelt sich ein Husten mit blutigem Auswurf, zunehmende Atembeschwerden bis hin zum Schock und Atemstillstand. Die Lungenpest ist in der Regel tödlich, wenn sie nicht frühzeitig – also innerhalb von 24 Stunden – mit Antibiotika bekämpft wird, wobei die Behandlung in einer Quarantänestation erfolgt.
EisenbahnAllgemein muss zuerst festgestellt werden, dass es dem Produzenten (Carlo Ponti) nicht hoch genug angerechnet werden kann, dass wenn immer möglich in der Schweiz inszeniert wurde, obwohl dies vergleichsweise kostenintensiv und mit enormem administrativem Aufwand verbunden ist. Aufgrund dieser Fakten wurden geografisch ähnlich gelagerte Produktionen – wobei deren Budget wie beispielsweise „Avalanche Express“ wahrscheinlich nicht annähernd 15 Millionen DM umfasst haben dürfte – denn auch nicht am Originalschauplatz gedreht, sondern in Deutschland und mit Hilfe von künstlichen Modell-Landschaften, was sich aber unweigerlich auf die Authentizität der jeweiligen Szenen auswirkt. Bei den Dreharbeiten waren nebst der Italienischen Staatsbahn (FS) und den Französischen Bahnen (SNCF) auch die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) involviert. Durchaus glaubwürdig wirken dabei vor allem manche der in der Schweiz realisierten Szenen aufgrund der Tatsache, dass die SBB für die Filmarbeiten einen veritablen Schnellzug zur Verfügung stellte, der dann als (fiktiver) „Transcontinental Express“ mit ebenso fiktivem Zuglauf „Genève–Stockholm“ fungierte. Die KompositionIn der Schweiz kam auf den elektrifizierten Abschnitten als Zuglok eine Re 4/4 II (Achsfolge Bo’Bo’) bzw. eine Re 4/4 III (analog, geänderte Getriebeübersetzung) zum Einsatz. Die aus neun Waggons bestehende Kompositon umfasste die Typen:
wobei die Waggonreihung wie folgt aussah: F + A + WL + A + WR + B + B + B + F. Für die nächtlichen Szenen von „Nürnberg“ – die Aufnahmen entstanden in Italien auf einem nicht näher verifizierbaren Rangierbahnhof – sowie auch für alle danach folgenden Einstellungen standen die SBB-Waggons jedoch nicht mehr zur Verfügung, weshalb auf entsprechend modifiziertes Rollmaterial der FS zurückgegriffen werden musste. Als Double für die SBB-Lok fungierte eine Elektrolok der Baureihe E 645 (Achsfolge Bo’Bo’Bo’), welche in der Folge durch eine Verschub-Diesellok vom Typ D 143 (Achsfolge Bo’Bo’) ersetzt wurde. Die Drehorte in der SchweizDer Großteil der Dreharbeiten fand in der Nordwest-Schweiz statt. Die auf dem Genfer Cornavin-Bahnhof spielenden Szenen wurden nicht etwa – wie mittels der im Vorspann gezeigten Luftaufnahmen suggeriert wird – am Originalschauplatz realisiert, sondern auf dem Bahnhof Basel SBB. Ersichtlich wird dies einerseits an der charakteristischen Hallenkonstuktion, andererseits anhand des Fluchtweges des Terroristen zum Bahnhof, welcher über die so genannte „Gundeli-Passarelle“ führt. Analog dazu entstanden auch die restlichen Außenaufnahmen nicht etwa in Genf, sondern im Basler Vorort Bottmingen, wobei als vermeintliches Gebäude der WHO das Kantonsspital „Bruderholz“ zu sehen ist. In der Tat liegen aber weder der WHO-Komplex in Genf noch das Bruderholz-Spital zu Basel in unmittelbarer Nähe zu einem Bahnhof. Weitere Drehorte befanden sich im Jura auf der (meist eingleisigen) Strecke Basel–Delémont–Moutier/Münster. Zwischendurch sind Einspielungen von einer doppelgleisigen Gebirgsstrecke eingeflochten, welche mutmaßlich von der Gotthardlinie stammen dürften. In einer weiteren Szene zieht am Schlafwagenfenster die Station Laufen vorbei, hermetisch abgeriegelt durch ein Großaufgebot von Einsatzwagen der Kantonspolizei. Später ist auch noch eine Einstellung zu sehen, welche mutmaßlich den Zug beim Passieren des eindrücklichen Combe-Maran-Viadukts bei St. Ursanne zeigt. Die spektakuläre Bergungsaktion eines infizierten Hundes – übrigens gedoubelt durch ein Plüschtier – mittels Helikopter aus dem fahrenden Zug heraus entstand hingegen im Großraum Zürich bei der Ortschaft Oberhasli. Gedreht wurde auf der ehemaligen Nordostbahn-Strecke von Niederglatt nach Otelfingen, deren Betrieb aber bereits gegen Ende der 1930er Jahre eingestellt worden war. In der Folge wurde das Geleise über den so genannten „Schipka-Pass“ stillgelegt und größtenteils aufgelassen, wobei deren heutiger Rest noch als Stichgleis zum örtlichen Tanklager dient. Für die Dreharbeiten musste die Komposition – mit abgebügelter Re 4/4 II vorneweg – von einer Rangier-Diesellok vom Typ Bm 4/4 (Achsfolge Bo’Bo’) nachgeschoben werden, da diese Linie – als eine der wenigen SBB-Strecken – nie elektrifiziert worden ist. Das dramatische Ende der geglückten Aktion mit dem halsbrecherischen Steigflug des Hubschraubers kurz vor der hochaufragenden Steilwand entstand hingegen wieder im Jura am Weißenstein-Massiv (1495 Meter), wo der Zug auf der damaligen SMB-Linie von Moutier (Münster) nach Solothurn kurz darauf bei Gänsbrunnen das Nordportal des 3698,8 Meter langen Weißenstein-Scheiteltunnel passiert. Der Zug – „Hispania-Express“Obschon der Expresszug und dessen Fahrtroute im Film offensichtlich – und sicherlich auch mit Hinblick auf den amerikanischen Kinomarkt – einer unplausiblen Fiktion der Drehbuch-Autoren (Tom Mankiewicz, Robert Katz) entsprungen ist, exisitierte bis 1982 ein in Frage kommendes reales Vorbild. Denn seit der Eröffnung der „Vogelfluglinie“ anno 1963 verkehrte nämlich der Rapide HS „Hispania-Express“ vom französischen Cerbère – Grenzbahnhof zu Spanien – via Genf und Basel nach Dortmund und führte – zumindest während der 1960er Jahre – nebst einem Schlafwagen der CIWL und französischen Kurswagen nach Genf auch noch deutsche Kurswagen nach Köln, Hamburg, Lübeck und nach der dänischen Kapitale Kopenhagen sowie einen Schweizer Liegewagen bis Basel. Der „Hispania“ war auch der einzige Zug, welcher den Grenz- und vor allem Systemwechsel-Bahnhof Genf-Cornavin im Transit durchfuhr, bis dann in den 1980er Jahren die spanische RENFE eine neue TALGO-Direktverbindung als Hotelzug „Pau Casals“ (Barcelona–Zürich) aus der Taufe hob. Die Route – vom Rhein zum Jablunka-PassBereits in der Schweiz wird die Route des Expresszuges „auf Befehl von höchster Stelle“ insofern geändert, als es noch vor Basel Richtung Osten weitergeht, mit Nürnberg als Etappenziel. Anhand der Filmhandlung lässt sich jedoch die Streckenwahl nicht genauer verifizieren, weshalb man auf plausible Spekulationen angewiesen ist. Einerseits kann davon auszugegangen werden, dass die Amerikaner den Zug schnellstmöglich in den Einflussbereich der NATO bringen wollen, andererseits aber konsequent Hauptstrecken und damit große Ballungsgebiete meiden müssen, weshalb als mögliche Variante nachfolgende Route resultiert: Dem Rheinufer entlang bis Koblenz, wo kurz vorher bei Felsenau die Aare auf einem 236 Meter langen, in einem Bogen liegenden Gitterviadukt überquert wird, dessen fünf Brückenfelder zu 47,83 Meter seit 1994 nur noch von Güterzügen befahren werden. Der Grenzwechsel nach dem deutschen Waldshut macht nicht nur eine Umstellung auf Dieseltraktion sondern auch einen Fahrtrichtungswechsel notwendig. Praktisch bedeutet dies, dass der Zug im Bahnhof Koblenz einen Betriebshalt einlegen muss, worauf die Schweizer Re 4/4e II abgekuppelt und gleichzeitig eine DB-Diesellok ans Zugsende gestellt wird. Danach schiebt die V 160 oder gar eine der berühmten V 200 ihre Komposition über den drei Kilometer langen, fahrdrahtlosen Abschnitt der eingleisigen Verbindungslinie nach Waldshut hinein. Dabei wird der Rhein auf einer zweigleisigen Fachwerkbalken-Konstruktion aus dem Jahre 1859 überquert, welche nicht nur als ältester eiserner Bahnviadukt Europas gilt, sondern auch die erste den Rhein querende Bahnlinie ermöglichte. Inwieweit aber ein in diesem Zusammenhang denkbares, militärisches Szenario das 1960 ratifizierte Grenzabkommen 3) tangieren würde, bleibt dahingestellt und soll nicht weiter erörtert werden. Anschließend verlässt der Zug den Waldshuter Bahnhof wieder Richtung Osten (also mit der Lok voraus) und umgeht den Schaffhauser Zipfel auf der damals stillgelegten Wutachtalbahn – besser bekannt als „Sauschwänzlebahn“ war diese noch in der ersten Hälfte der 1960er Jahre aus strategischen Gründen durch die NATO instandgestellt und für den Schwerverkehr befahrbar gemacht worden – über Weizen und Blumberg nach Immendingen, von wo der Zug dann über weitere Nebenstrecken bis nach Nürnberg rollt.
Gleichermaßen nebulös ist auch der Streckenverlauf auf dem Staatsgebiet der damaligen Tschechoslowakei bis zum Jablunka-Pass. Basierend auf der bisherigen Annahme, dass der Zug auch weiterhin über Nebenlinien dirigiert wird, kann jedoch auf folgenden Zuglauf spekuliert werden: Via Furth i. W. zur tschechischen Grenzstation Domazlice und weiter nach Pilsen; von dort via Tábor, Brünn und Prerov bis Zilina, wo sich die Strecke mit der ehemaligen Kaschau-Oderberg-Bahn vereinigt. Die Beskiden – deren höchster Gipfel Babia Góra 1725 Meter ü. M. erreicht – als westliche Ausläufer der Hohen Tatra werden am strategisch wichtigen Jablunka-Pass überwunden. Die Passhöhe wird dabei mittels einem etwa 270 Meter langen zweigleisigen Tunnel unterfahren, welcher während des Zweiten Weltkrieges hart umkämpft war. Später erfolgt bei Petrovice u Karviné der Grenzübertritt nach Polen. Das vermeintliche Ziel der Fahrt ist eine angebliche Quarantänestation bei Janów, unweit von Kattowitz. Die Brücke – „Le Viaduc de Garabit“Die baufällige Brücke – gemäß der Filmhandlung in Polen unweit von Janów angesiedelt – befindet sich de facto in Frankreich, genauer im westlichen Zentralmassiv nahe der Ortschaft St. Flour. Es handelt sich dabei um den gigantischen Garabit-Viadukt mit einer Länge von 654,65 Metern, der im Zuge der „Ligne des Causses“ (Arvant–Béziers, elektrifiziert mit 1500 V Gleichstrom mittels der alten MIDI-Fahrleitung) das Tal der Truyère in einer Höhe von 122,2 Metern überspannt, wobei alleine der Zentralbogen 165 Meter Lichtweite umfasst und weshalb das Bauwerk seit seiner Fertigstellung am 18. September 1884 zu den imposantesten Brücken der Welt gehört. Ebenfalls von Gustave Eiffel errichtet und ebenso berühmt, steht eine analoge Stahlkonstruktion in Portugal, welche als Maria Pia-Brücke mit einer Länge von 365,37 Metern bei Porto den Douro in einer Höhe von 61 Metern überspannt, wobei hier die Zentral-Bogenöffnung eine lichte Weite von 160 Metern aufweist.
[Autor: Manuel Gurtner]
Anhang„Ein mit tödlichen Bakterien verseuchter Terrorist entkommt in einem Expreßzug nach Stockholm. Der Zug wird daraufhin von einem US-Oberst durch halb Europa auf eine einsturzgefährdete Brücke dirigiert, um die Zeugen der amerikanischen Kriegsforschung loszuwerden. Verzweifelt versuchen einige Passagiere, die die Lage durchschauen, ihrem Schicksal zu entkommen, doch der Zug wird von außen gesteuert und bewacht. Die Eisenbahn rast durch die Nacht, und niemand kann diese «bewegte Bühne» verlassen – Bedingung des klassischen Zugdramas. Das Besondere an diesem Film: Es darf auch niemand den Zug verlassen. Die Eisenbahn wird zum rollenden Sarg und die Reisenden zum vermeintlich notwendigen Opfer zur Erhaltung der Spezies Mensch. «Die Indizien scheinen das Verdikt vorab zu signalisieren: ein 15 Millionen DM teurer Zutatenfilm; monströse, mit Weltstars überreichlich gespickte Abschreibungsplotte, die offenbar amerikanische Standards nachzuhecheln versucht. Erfahrung als Vorurteil. Cassandra Crossing entpuppt sich nämlich als vorzügliches, stellenweise brillantes ‹desaster-movie›, [...] Nach der Infektion des Terroristen rollt eine großangelegte vom CIA gesteuerte amoralisch-technokratischen Sachzwängen gehorchende Sicherungs-, Isolierungs- und Vernichtungsaktion an (Endlösung der Infiziertenfrage). Der Zug mit seinen 1000 Insassen wird über Nürnberg (oha!) in ein ehemaliges KZ («Quarantäne-Station») nach Polen umgeleitet; zuvor muß er eine baufällige Riesenbrücke passieren, die – allen Computerberechnungen zufolge – einstürzen und das Problem lösen wird. [...] Dem bislang unbekannten Regisseur gelang zudem ein sehenswertes Exemplar der Gattung ‹Zugfilm›. Dramatik auf engstem Raum; scharf umrissene, glaubwürdige Charakterprofile; eine spezifische Dynamik aus dem Wechselspiel physischer und psychischer Bewegungen, deren Sensationen sich über glänzend montierte Kontraste vermitteln...» (A. Meyer in «Medium», 7/1977)“ [Ulfilas Meyer: Kino-Express. Die Eisenbahn in der Welt des Films. München und Luzern (Verlag C. J. Bucher) 1985. Seiten 59 f.]
Identifizierbare Fahrzeuge: SBB-Elloks Re 4/4 II 11217 und Re 4/4 III 11363 Geographische Hinweise:
Viaduc de Garabit: Im Oktober 2001 entwickelte sich in der Google-Newsgroup at.verkehr.bahn eine Diskussion um „The Cassandra Crossing“. Darin nennt Tobias Benjamin Köhler einige Internet-Adressen zum Viaduc de Garabit:
– JB –
Autoren dieser Filmbesprechung: Manuel Gurtner und Joachim Biemann
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