|
„Dreadnoughts“ – Kinostars auf vier Achsen
Von Manuel Gurtner
Mit Ausnahme von Hollywood wurden weltweit nirgends so viele Spielfilm- und
später auch TV-Produktionen mit Eisenbahn-Szenen gedreht, wie auf der
britischen Insel, wobei deren jeweilige Qualität vergleichsweise als
überdurchschnittlich eingestuft werden kann. Es dürfte deshalb kaum
verwundern, dass auch die folgende, aus drei historischen Waggons bestehende
Komposition aus dem Mutterland der Eisenbahn stammt. Die Eckdaten der
teakfarbenen Vierachser der einstigen London Transport lauten im einzelnen
wie folgt:
- Waggon Nº 427 mit 7 Abteilen der 3. Klasse sowie Bremserabteil
Baujahr: 1910 (basierend auf Untergestell von 1905)
Länge über Puffer: 16,560 Meter
Breite: 2,820 Meter
Gewicht: 30,5 Tonnen
Anzahl Sitzplätze: 84
- Waggon Nº 465 mit 9 Abteilen der 3. Klasse
Baujahr: 1919
Länge über Puffer:16,560 Meter
Breite: 2,820 Meter
Gewicht: 30,5 Tonnen
Anzahl Sitzplätze: 108
- Waggon Nº 509 mit 7 Abteilen der 1. Klasse
Baujahr: 1923
Länge über Puffer:16,560 Meter
Breite: 2,820 Meter
Gewicht: 30,5 Tonnen
Anzahl Sitzplätze: 84
Zwischen 1910 und 1923 an die damalige „Metropolitan“ geliefert, bildete
dieser inoffiziell als „Dreadnought“ bezeichnete Typ mit gegen 100
Fahrzeugen während Jahrzehnten den Grundstock an Rollmaterial für den
Londoner Vorortsverkehr. Anlässlich der nordwestlichen Ausdehnung des
Streckennetzes von der Baker Street Station 1) bis nach dem 80 Kilometer
(!) entfernten Aylesbury und darüber hinaus entstanden Berührungspunkte mit
der Manchester, Sheffield & Lincolnshire, welche später in der Great
Central aufging. Um mit den äußerst eleganten und komfortablen
GCR-Garnituren einigermaßen mithalten zu können, entschloss sich die „Met“
ebenfalls zur Anschaffung neuer Reisezugwagen. Denn die Gesellschaft wurde
plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, die Anbindung von Städten wie
Manchester, Leicester, Sheffield und Nottingham an den kontinentalen
Fernverkehr nach Paris, Rom und Berlin sicherzustellen, wobei ein
Kanaltunnel als Bindeglied zwischen Großbritannien und dem restlichen
Europa fungieren sollte.
Einerseits waren die „Dreadnoughts“ mit speziell breiten Trittbrettern
ausgerüstet, andererseits besaßen die Abteiltüren abgerundete Oberkanten,
um das Risiko einer Beschädigung beim versehentlichen Öffnen auf den
zahlreich vorhandenen Tunnelabschnitten zu verringern. Die Waggons blieben
in Verkehr bis September 1961, als die Elektrifizierung – mittels seitlicher
Stromschiene von 600 Volt Gleichstrom – Amersham erreichte. In der Folge
wurden die mit jeweils einer der 20 Elektroloks 2) (Baujahr 1920, Achsfolge
Bo’Bo’) der London Transport bespannten Wagenkompositionen durch moderne
Triebwagenzüge ersetzt.
|
1) Unweit davon an der Baker Street 221b soll sich das Domizil des legendären Sherlock Holmes befunden haben.
2) Lok Nº 8 trug das Namensschild „Sherlock Holmes“. |
Filmographie
Die aufgeführten Waggons der einstigen „Met“ (1933 von der London
Transport übernommen) sind seit 1974 im Besitz der Firma Vintage Carriages
Trust, welche historisches Rollmaterial aufarbeitet und für Dreharbeiten
vermietet, wobei eine enge Zusammenarbeit mit der Museumsbahn Keighley &
Worth Valley Railway besteht. Die „Dreadnougts“ können inzwischen eine über
30-jährige Karriere bei Film und Fernsehen vorweisen, in welcher die Waggons
einzeln oder als Komposition außer in über einem Dutzend TV-Produktionen
auch bei folgenden Kinofilmen zum Einsatz kamen:
- Original-Titel: „The Private Life of Sherlock Holmes“ (GB, 1970)
Deutscher Verleih-Titel: „Das Privatleben des Sherlock Holmes“
Regie: Billy Wilder
Farbe: DeLuxe
Laufzeit: 125'
- Original-Titel: „The Railway Children“ (GB, 1970)
Regie: Lionel Jeffries
Farbe: Technicolor
Laufzeit: 109'
- Original-Titel: „The Virgin and the Gypsy“ (GB, 1970)
Deutscher Verleih-Titel: „Das Mädchen und der Zigeuner“
Regie: Christopher Miles
Farbe: Technicolor
Laufzeit: 95'
- Original-Titel: „The Seven-Per-Cent Solution“ (GB/USA, 1976)
Deutscher Verleih-Titel: „Kein Koks für Sherlock Holmes“
Regie: Herbert Ross
Farbe: Technicolor
Laufzeit: 113'
- Original-Titel: „Yanks“ (USA/BRD/GB, 1979)
Deutscher Verleih-Titel: „Gestern waren wir noch Fremde“
Regie: John Schlesinger
Farbe: Technicolor
Laufzeit: 141'
- Original-Titel: „Without A Clue“ (GB, 1988)
Deutscher Verleih-Titel: „Genie und Schnauze“
Regie: Thom Eberhardt
Farbe: Metrocolor
Laufzeit: 106'
- Original-Titel: „Jude“ (GB, 1995)
Deutscher Verleih-Titel: „Aufruhr der Herzen“
Regie: Michael Winterbottom
Farbe: Technicolor
Laufzeit: 123'
- Original-Titel: „Fairy Tale: A True Story“ (USA/GB, 1997)
Deutscher Verleih-Titel: „Fremde Wesen“
Regie: Charles Sturridge
Farbe: DeLuxe
Laufzeit: 99'
Autor dieses Beitrags: Manuel Gurtner
Online: 08.12.2003
html-Status: 07.10.2009
|