Eisenbahn im Film – Rail Movies |
Derailed
Art: Spielfilm
InhaltDieses Jean-Claude-Van-Damme-Vehikel präsentiert sich als krude Mischung aus „The Cassandra Crossing“ (1976) und „Under Siege 2: Dark Territory“ (1995). Darin soll der Hauptprotagonist die Undercover-Agentin Galina Konstantin (Laura Harring) aus der slowakischen Hauptstadt Bratislava (Pressburg) herausschleusen und per Bahn nach München bringen, nicht ahnend, dass die schlagkräftige Schöne bei einem Einbruch im Auftrag der NATO einen B-Kampfstoff in Form von Pockenviren mitgehen ließ. Dabei kommt ihm nicht nur seine ahnungslose Familie in die Quere, sondern auch eine skrupellose Verbrecherbande um den Psychopathen Mason Cole (Tomas Arana), welcher ebenfalls hinter den Ampullen her ist und sich dabei als alter Bekannter der Konstantin entpuppt. In der Folge werden die Pocken-Erreger aus Unachtsamkeit freigesetzt und verteilen sich über das Belüftungssystem im ganzen Zug.
EisenbahnBevor Van Damme und sein Schützling den vermeintlich rettenden Nachtzug entern können, kommt es in den Straßen von Bratislava zu einer wilden Autoverfolgungsjagd mit den lokalen Sicherheitskräften, an deren Ende nicht nur eine Tankstelle in Flammen aufgeht, sondern auch ein Tram-Triebwagen derart von einem Militärlaster gerammt wird, dass das Schienenfahrzeug aus den Gleisen gehoben und umgeworfen wird. Beim Triebwagen handelt sich mutmaßlich um den vierachsigen Motorwagen 240 vom Typ „Republika“ (Baujahr 1960) der Verkehrsbetriebe Sofia, welcher zur Zeit der Dreharbeiten als Museumsfahrzeug vorgesehen war und seither im Depot Krasna Poljana der geplanten Wiederaufarbeitung harrt, zusammen mit dem Beiwagen 538. Rollmaterial – „made in East Germany“Der fiktive Nachtzug 681 setzt sich aus dunkelgrünen OSShD-Waggons vom UIC-Typ Y/B 70 zusammen, welche ab 1972 von ostdeutschen Herstellern an die Bulgarische Staatsbahn (BDZ) geliefert wurden. Aufgrund des verwendeten Rollmaterials ist es wahrscheinlich, dass es sich um den Wagenpark des von der BDZ als „Vitosha Express“ vermarkteten Touristik-Sonderzuges handelt, welcher in Plovdiv beheimatet ist. Dessen Formation umfasst zwei Schlafwagen mit je fünf Zweibett-Abteilen und einem Salon (eventuell Umbau aus WLAm, VEB Görlitz 1972), zwei Abteilwagen mit Küche für die Bedienung am Platz (eventuell Umbau aus Am, VEB Bautzen 1972), einen Schlafwagen mit Zweibett-Abteilen sowie Einrichtung mit Bad/WC (eventuell Umbau aus WLAm, Görlitz 1972), einen Speisewagen mit 36 Sitzen, einen Maschinenwagen für die autonome Stromversorgung sowie einen Autotransportwagen. Sowohl der Maschinenwagen – mutmaßlich Nº 51 52 99-40 073, baugleich mit Nº 61 80 92-80 203-1 aus dem ehemaligen Wagenpark des Regierungszuges der DDR – als auch der am Zugschluss eingereihte Autotransporter vom Typ DDm sind in der im Film gezeigten Komposition zu sehen. Gemäß der Handlung sind zumindest noch ein Sitzwagen mit Mittelgang, ein (bei der BDZ blauer) Speisewagen, ein Salonwagen mit Bar – hier wahrscheinlich Nº 51 52 99-40 075-1 – und ein (bei der BDZ ebenfalls blauer) Schlafwagen eingereiht. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass die entsprechenden Innenaufnahmen größtenteils in den Bojana-Studios außerhalb von Sofia mittels Kulissenbauten gedreht wurden. Bespannt ist die Komposition mit der dieselelektrischen BDZ-Diesellok 06 118.4 (analog CFR-Reihe 060-DA, Achsfolge Co’Co’), die übrigens über eine eigene Toilette verfügt, derweil der kollidierende Güterzug von einer dieselhydraulischen Maschine der BDZ-Reihe 55 (Achsfolge Bo’Bo’) geschleppt wird. DrehorteDie bulgarische Hauptstadt diente auch bei allen weiteren in Bratislava spielenden Sequenzen als glaubwürdige Kulisse, wie sich später anhand der Szenen in der Schalterhalle des dortigen Hauptbahnhofes feststellen lässt. Der äußerste der fünf überdachten Inselbahnsteige musste zudem als Kulisse für den Bahnhof Linz herhalten. Die restlichen Außenaufnahmen entstanden angeblich auf der 11 Kilometer langen Stichbahn nach Beli Breg, welche bei Aldomirovci von der internationalen Magistrale Sofia–Nisch (–Belgrad) abzweigt, jedoch nur noch dem Güterverkehr dient und daneben auch für Dampfzug-Sonderfahrten benutzt wird. Aufgrund des Dieselbetriebs war die eingleisige Nebenlinie prädestiniert für das Drehen der teils hanebüchenen Verfolgungsjagden über die Waggondächer hinweg. Lausige Tricks und andere UnstimmigkeitenDie abstruse Handlung bewegt sich erwartungsgemäß schon bald auf den ausgeleierten Gleisen des US-amerikanischen Genre-Kinos mitsamt seinen unvermeidlichen Vereinfachungen, welche dem geneigten Zuschauer bereits aus „Death Train“ (1993) und ähnlichen Machwerken bekannt sein dürfte. Der letzte Rest an bahn-spezifischer Wirklichkeitstreue bleibt bereits beim Grenzübertritt nach Österreich auf der Strecke, dessen Szenerie irgendwie an die ehemals innerdeutsche Zonengrenze beziehungsweise an die Verhältnisse am früheren „Eisernen Vorhang“ gemahnt. Der Nachtzug ist zwar auf der klassischen Route des einstmaligen Orient Express unterwegs,
welcher von Bukarest kommend jeweils via Budapest, Bratislava, Wien, Salzburg, München und Strassburg
nach Paris gelangte. Doch scheint sich der Drehbuchautor weder für bahnhistorische Details im speziellen,
noch für geografische Belange im allgemeinen zu interessieren, ganz zu schweigen von einer Orientierung
an aktuell verkehrenden Vorbildern. Und so wird Wien auf der Fahrt nach Westen kurzerhand außen vor
gelassen und der erste fahrplanmäßige Halt erst in Linz eingelegt, was eingefleischten Fans des
Hauptdarstellers eh wurscht sein dürfte. Anhand eines Fahrplan-Auszuges wird dieser jedenfalls
verkehrstechnische Humbug offensichtlich:
Auch die später sporadisch eingestreuten Führerstandsaufnahmen von einer elektrifizierten Gebirgsstrecke – womöglich vom tunnelreichen Abschnitt zwischen Sofia und Varna – wirken im Vergleich zur Relation Bratislava–München nicht sonderlich authentisch und verstärken noch den Eindruck einer latenten Unstimmigkeit, hat doch die Topografie beim Queren des Balkangebirges mit der Trassenführung der Westbahn im Abschnitt Linz–Salzburg nichts gemein. Zusätzlich vermögen auch die teilweise dilettantisch wirkenden Trickaufnahmen nicht zu überzeugen, welche mit Hilfe einer Modellbahn – einerseits im Maßstab 1:87 (Baugröße H0) bei den Sequenzen in der Totalen, andererseits im Maßstab 1:22.5 (Baugröße 1) für Nahaufnahmen – gedreht wurden und wie schon in „Sweepers“ (1998) aus der Küche von Willie Botha stammen. Hier hätte der südafrikanische Modellbauer womöglich besser auf vorbildgetreues H0-Material einschlägiger Modellbahnhersteller zurückgreifen sollen. Beim seitlichen Crash mit einem Güterzug, dessen Lokführer offensichtlich zuviel Rakia intus hat und prompt ein Haltesignal überfährt, kommen zudem computergenerierte Sequenzen hinzu, wobei das Ergebnis als sehr bescheiden bezeichnet werden muss. Trotzdem existiert auf der entsprechenden DVD als Bonusmaterial ein zehnminütiges „Making of“ mit Schwerpunkt Spezialeffekte, so dass man vergleichbare Trick-Sequenzen in „Un Flic“ (1972) oder in „Avalanche Express“ (1978) umso mehr zu schätzen weiss. Wie man den Zusammenstoß zweier Züge mittels Computeranimation überzeugend in Szene setzt, demonstriert beispielsweise das furiose Finale von „Under Siege 2“ in eindrücklicher Manier.
Autor dieser Filmbesprechung: Manuel Gurtner
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